«An der Oberfläche von Kazuo Ishiguros Roman herrscht eine fast vollkommene Ruhe. Stevens, ein englischer Butler, der seine besten Tage hinter sich hat, befindet sich auf einer Autotour an die Westküste. Höhepunkt seiner kleinen Reise ist ein Besuch bei der ehemaligen Haushälterin von Darlington Hall, jenem Anwesen, auf dem Stevens seit vierzig Jahren zum Inventar gehört, auch wenn der Besitzer inzwischen nicht mehr der alte Lord, sondern ein jovialer Amerikaner mit einer irritierenden Neigung zu Scherzen ist. Stevens möchte die Haushälterin zur Rückkehr nach Darlington Hall bewegen, wo es gerade ein kleines Personalproblem gibt.
Aber dicht unter der Oberfläche des Romans fließt eine Strömung von ungeheurer Kraft; das unantastbare Verhältnis zwischen Herr und Diener, der festgefügte Alltag des Butlers sind plötzlich keine verläßlichen Größen mehr, sondern die Quellen einer lebenslangen Selbsttäuschung.
Es ist das seltene Verdienst dieses Romans, die großen Fragen des Lebens mit viel Feingefühl und Humor zu stellen, ohne die bittere Wirklichkeit, die ihnen zugrunde liegt, zu verhüllen.»
Salman Rushdie, «Observer»
Es wird immer wahrscheinlicher, daß ich tatsächlich jene Reise unternehme, die meine Phantasie bereits seit einigen Tagen mit einer gewissen Ausschließlichkeit beschäftigt.» Mit diesen Worten beginnt der alte englische Butler Stevens seinen Bericht über die erste Reise seines Lebens. In einem großen alten Ford—wie er selbst ein Stück Inventar, das der neue amerikanische Besitzer von Darlington Hall mit übernommen hat — fährt Stevens über kleine Landstraßen Richtung Cornwall. Dorthin nämlich hat sich zwanzig Jahre zuvor eine ehemalige Haushälterin Lord Darlingtons verheiratet, und ein Brief von ihr — der erste seit sieben Jahren — scheint anzudeuten, daß diese Ehe nun leider gescheitert ist. Möglicherweise also wäre die ehemalige Miss Kenton bereit, in die Position der Haushälterin nach Darlington Hall zurückzukehren.Stevens’ Gedanken gehen zurück in jene Tage, als dort unter seiner Anleitung siebzehn Dienstboten für seine Lordschaft sorgten. Bald erkennt der Leser, was dem Butler selbst nicht klar wird: Hier kämpft ein alternder Mann um seine Lebenslüge, wenn er in wohlgesetzten Worten erzählt, wie er aus einem Gefühl von Würde und Pflicht mit Tränen in den Augen Portwein servierte, während sein Vater im Sterben lag, und wie er nach besten Kräften jahrzehntelang einem Lord diente, der mit den Nazis kollaborierte. Aus dem Versuch, den Sinn des eigenen Lebens zu bewahren, entsteht ein formvollendeter, gesellschaftskritischer Roman, erzählt von einem, der sich eine solche Kritik nie erlaubt hätte; eine wunderschöne, bittersüße Liebesgeschichte, erzählt von einem, der nie auch nur ahnte, daß er liebte.Steif ist dieser Stevens, umständlich und völlig humorlos — und gerade deshalb in vielen Situationen unfreiwillig komisch.Kazuo Ishiguro, dem in Japan geborenen britischen Autor, gelingt es, aus einer Figur, die ein typisch englisches Klischee zu sein scheint, mit feiner Ironie eine lebendige und tragische Gestalt zu schaffen. Sein souveräner Umgang mit Sprache, seine Fähigkeit, auch das Unausgesprochene hinter den Worten sichtbar zu machen, erheben diesen Roman zu einem Meisterwerk. «Was vom Tage übrigblieb» wurde in England 1989 mit dem begehrten Booker Prize ausgezeichnet und verhall Ishiguro zum internationalen Durchbruch.
KAZUO ISHIGUROwurde 1954 in Nagasaki geboren; im Alter von sechs Jahren kam er mit seiner Familie nach England. Er studierte Anglistik und Philosophie und war danach eine Zeitlang als Sozialarbeiter tätig. Kazuo Ishiguro lebt heute in London. «Was vom Tage übrigblieb» ist sein dritter Roman.