Radu, heißt er, der Mann im Bus, der alle anderen Köpfe überragt; wenn Olga in Ecuador jeden Morgen in die Stadt fährt, treffen sich ihre Augen. Später weiß sie, dass sie Radu schon als Mädchen im Engadiner Internat begegnet ist: Bei seinem Vortrag über den Amur-Tiger saß sie in der ersten Reihe. Heute ist Olga unten am tosenden Fluss kurz in Versuchung geraten, sein Gesicht aus der Erinnerung herbeizulocken. Radu, der große Abwesende, der immer wieder Koffer packte, um den nächsten Film zu drehen. Das Schlagen der Tür zerriss ihr das Herz. Zusammen reisten sie, am liebsten an entlegene Orte. Oder er machte Station bei ihr im Dorf, und für kurze Zeit schien so etwas wie ein gemeinsames Leben auf: Da saßen sie im Gras, blickten auf die zackigen Berge, luden Elsa zum Essen ein, und der Tequilamoon vermochte sie ganz und gar aus der Fassung bringen. Leta Semadenis neuer Roman führt an die Ufer des Amur und wieder zurück in das Bergdorf von Tamangur. Aus poetischen Miniaturen setzt sich die Geschichte einer Liebe zusammen, wie es sie nur einmal im Leben gibt, wuchtig, schmerzlich, glücklich, eine Liebe, die festzuhalten es nicht gelang und Olga — wie wohl auch die Autorin selber — das ganze Leben nicht mehr loslässt.