Die Absicht dieser Schrift ist weder eine biographische, noch geht sie auf Deutung und Würdigung der Goetheschen Dichtung. Die Frage ist eher: was ist der geistige Sinn der Goetheschen Existenz überhaupt? Unter geistigem Sinn versteht Simmel das Verhältnis von Goethes Daseinsart und Äußerungen zu den großen Kategorien von Kunst und Intellekt, von Praxis und Metaphysik, von Natur und Seele — und die Entwicklungen, die diese Kategorien durch ihn erfahren haben. Es handelt sich um die letzten Beschaffenheiten und Beweggründe seiner Geistigkeit, die seine Dichtung und sein Forschen, sein Handeln und seine Weltanschauung gestalten — um das «Urphänomen» Goethe, das sich kaum in irgend einer einzelnen Äußerung ganz rein ausspricht, vielmehr in all seinen widerspruchsvollen, andeutenden, höchst mannigfaltig distanzierten Sätzen und Intentionen hundertfach gebrochen ist. Was er selbst von seinen Bemühungen der Natur gegenüber sagt: sie gelten dem Gesetz, von dem in der Erscheinung nur Ausnahmen aufzuweisen sind — das bezeichnet vielleicht auch das Verhältnis der hier gesuchten Bedeutung seiner Existenz zu deren Phänomenen.