«Zur Witzfraktion gehört dieser Aphoristiker nicht, hier werden keine Pointen gezündet, hier werden sehr ernsthafte Ideen aphoristisch formuliert. Die biographischen Angaben, die Weber offenbart, sind schmal, aber wenn man liest, dass er Theologie in Leipzig und Jena studiert hat, dann ahnen die Älteren (West) noch, was das bedeutete, die Älteren (Ost) werden es noch wissen, und den Jüngeren in Ostwest muss man es unbedingt erläutern. Weber ist nicht der Typ, der sich nach der Wende – gefragt und ungefragt – mit einer Heldenvita geschmückt hätte, aber dass eine solche mehr als berufliche Entscheidung ein Leben bedeutete, das sich dem SED-Regime widersetzte, ist deutlich genug. Weber hat neben seiner künstlerischen Arbeit lange Jahre im kirchlichen Dienst gearbeitet. Ist es nötig daran zu erinnern, dass das Regime von niemandem mehr unterminiert worden ist als von protestantischen Theologenkreisen? Der vorliegende Band. bietet dem Leser eine Auswahl aus Webers in über zehn Jahren gewachsenem literarischen Schaffen, das in zwölf Gruppen vorgestellt wird. In diesem Ausschnitt lassen sich Inhalte und Formen von Webers Arbeit exemplarisch besonders gut erkennen. Weber erhebt „Befunde“, die Menschenkenntnis aus Selbstkenntnis generieren. Sie bewegen sich damit auf den Wegen der klassischen Moralistik, ob sie die Wahrheitssuche relativieren, die an den Schranken der Überzeugung scheitert, ob sie Ideale oder Gewohnheiten reflektieren: „Die Gewohnheit ist doch immer noch einer der sichersten Orte.“ Dabei offenbart sich schon hier ein skeptisch-“modernes“, erfahrungsgesättigtes Menschenbild: „Wer nicht zerbrochen ist, ist verklebt.“ Aus diesem Fundus heraus analysiert er unsere „Befindlichkeiten“. Deutlich zeigt sich dabei, dass eine aphoristische 'Analyse' von der Sprache auszugehen hat. Erkenntnisleistung und Sprachvermögen müssen aufs engste zusammenkommen. Das bedeutet auch, dass die Grenzen der Konvention gedehnt oder gesprengt werden und Innovationen verschiedenster Art dazu beitragen, die Kluft zwischen Gedanke und Wort, über die er als sein „eigen Ding“ selbst intensiv nachgedacht hat, 'zuzusprechen'. Er weiß, dass man besser sieht und es als solches besser zeigt, wenn man besser formuliert. Das geschieht unangestrengt und wie selbstverständlich in den Formen, die die Gattung bereitstellt: in Bild und Vergleich, wenn sich jemand „am Sinn des Lebens einen Bruch hebt“, im Neologismus („niederlächeln“), in der geglückten Abwandlung eines Phraseologismus („Sand in die Augen feiern“).? Es lohnt sich in hohem Maße. den Künstler und Aphoristiker Christian Weber kennenzulernen. Die vorliegende schmale Auswahl lädt dazu ein: auf aphoristische Weise, nachdenklich-skeptisch, jeweils knapp und pointiert und auf den stillen Dialog mit dem Leser ausgerichtet.» (Aus dem Nachwort von F. Spicker?).